Suppe live

In nur wenigen Monaten hat sich das Thema „Künstliche Intelligenz“ (kurz auch „KI“ oder englisch „AI“) nicht nur zu einem medialen Dauerbrenner, sondern auch zu einer ernsthaften Herausforderung für Politik, Arbeitswelt, Wirtschaft, Medien und Kunst – sprich: die gesamte Gesellschaft – entwickelt. Auf der Website des „Center for AI Safety“ bewerteten Ende Mai 2023 führende KI-Experten die Gefahren durch KI ähnlich hoch wie die vor einer Pandemie oder einem Atomkrieg! Doch egal ob Dystopie oder nur Panikmache: Schon jetzt beeinflussen KI-Systeme, allen voran ChatGPT (im Bereich Text) und Dall-E (im Bereich Bild), den Kulturbereich faktisch. Trauriges Beispiel: Gleich zwei Jugendliteraturwettbewerbe in der Region Hannover haben jüngst aufgegeben, weil durch das Nutzen von ChatGPT eine Beurteilung eingereichter Texte nicht mehr möglich sei. Eine Boulevard-Zeitschrift hat bereits eine komplett KI-generierte Ausgabe herausgebracht. Journalistinnen und Texterinnen werden zunehmend durch KI ersetzt. Viele Autorinnen sind auf der einen Seite verunsichert, auf der anderen Seite bereits dabei, die Möglichkeiten der Technik auszuloten und in ihre Arbeit zu integrieren, lassen sich bei Plot- und Figurenschöpfung oder Exposé-Erstellung von KI unterstützen. Parallel entsteht eine Diskussion um Urheber- und Verwertungsrechte. Wir als KrAssUnARTig, der Verein autodidaktischer Künstler in Deutschland, möchten diese Entwicklung mit unserem Format „Konspirative Suppengespräche“ kritisch und kreativ begleiten und einen unseres Erachtens notwendigen Diskurs über die Zukunft der Künste etablieren. Wir möchten herausfinden, was die Nutzung Künstlicher Intelligenz-Systeme konkret für die Kunst bedeuten und wie Künstlerinnen dazu stehen. Dazu sprechen wir mit Gästen aus den Sparten der Kunst, in denen KI-Systeme bereits jetzt eine entscheidende Rolle spielen: vor allem Literatur, aber auch Fotografie, Film und Musik. Und wir untersuchen die Potenziale, die KI bietet – in ihren Gefahren, vielleicht sogar in positiver Hinsicht?

Suppengespräche Staffel 3, Folge 2: Sofies magische Sch(l)üssel


Die nicht-avatarischen Moderator*innen Kristin Heike und Kersten Flenter im Gespräch mit der Übersetzerin und Autorin Caroline Hartge und dem Journalisten Stefan Gohlisch

Caroline Hartge (Jg. 1966) lebt in Garbsen bei Hannover. Studium der Anglistik, Hispanistik und Geographie. Sie veröffentlicht seit 1987 eigene Gedichte und Prosa. — Ihre Gedichte wurden ins Englische und Niederländische, ins Estnische, ins Französische, Italienische, Katalanische und Spanische, ins Arabische und Chinesische übersetzt. Sie ist Herausgeberin mehrerer Bücher zum Thema ‚alternative deutschsprachige Literaturzeitschriften’, u.a. Initiatorin des Handbuches deutschsprachiger Literaturzeitschriften (1997), und deutsche Übersetzerin der Werke der US-Dichterin Lenore Kandel; desweiteren befasst sie sich mit dem Leben und Werk der US-Dichterin Elise Cowen. – 2016 war sie Jurorin für den Bonner Literaturpreis, 2022 Jurysprecherin für den Kulturpreis der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Caroline Hartge ist seit 1999 Mitarbeiterin der Literaturagentur Thomas Schlück.

Stefan Gohlisch, Jahrgang 1968, ist Kulturredakteur der Neuen Presse in Hannover mit den Schwerpunkten Theater und Konzerte und einer ausgeprägten Vorliebe für Spielekritik, was ihm eine Mitgliedschaft in der Jury „Spiel des Jahres“. Kurzum: Sein Berufsleben ist geprägt von analogen Freuden, Live-Momenten und natürlicher Intelligenz, auch wenn das Digitale darin immer mehr Raum einnimmt.

Die als Gast eingeplante renommierte Übersetzerin Dr. Gabriele Haefs aus Hamburg (u.a. Jostein Gaarder, Anne Holt) musste leider kurzfristig aus Krankheitsgründen absagen; dafür sprang spontan die Autorin und Übersetzerin Caroline Hartge aus Garbsen ein. Mit Ihr auf der Sende-Bühne erschien der Journalist Stefan Gohlisch, um mit Kristin Heike, Kersten Flenter und dem Live-Publikum über die Bedeutung von KI-Systemen für die Tätigkeit von Übersetzer*innen und Journalist*innen zu sprechen.  Hier entstand recht schnell eine anregende Diskussion über ethische versus wirtschaftliche Aspekte der jeweiligen Disziplinen.

So gibt es bei literarischen Verlagen die Tendenz, Übersetzungen zunehmend von KI-Systemen vornehmen zu lassen, was die äußerst vielschichtige und anspruchsvolle Tätigkeit des Übersetzens zu einer redaktionellen Tätigkeit zu degradieren scheint. Es stellen sich hier Fragen der individuellen Sprachrhythmen der Originaltexte, der Interpretationsleistung der Übersetzenden auf der einen Seite sowie Unklarheiten in Bezug auf Urheberechte uvm. auf der anderen Seite.

Noch vielschichtiger zeigt sich das Thema Künstliche Intelligenz im Journalismus – die „vierte Macht im Staate“ ist ganz entscheidend von den Faktoren Vertrauen und Wahrheit geprägt. Während soziale Medien und Hypes eine wahre Informationsflut generieren, steigt an den Journalismus der Anspruch, Nachrichten zu kuratieren – welche Geschichten sind relevant? Dabei sind sich veränderndes Konsum- und Mediennutzungsverhalten ebenso zu berücksichtigen die journalistische Tugenden wie die Zwei-Quellen-Recherche. Im Journalismus zeigt sich besonders die dem Einsatz von KI innewohnende Dialektik: Tools, die beispielsweise Trends und Themen im Internet aufspüren und den Journalist*innen helfen, relevante Themen aufzuspüren, sind auf der anderen Seite geeignet, die tatsächlichen Relevanzen von Themen zu verfälschen, da sie auf Klicks und Nutzungszeiten von Internetmedien basieren. Stefan Gohlisch sieht den Einsatz von KI ambivalent – bei bestimmten Themen wie z.B. Staumeldungen oder Börsennachrichten sei per se keine aufwändige Recherche nötig, sodass KI-Systeme hier eine Zeitersparnis bedeuten könnten. Qualitativer Journalismus sei aber vor allem eine Frage von Ethos und Faktenfundamenten.

In der gemeinsamen Diskussion zeigte sich, dass für die Zukunft entscheidend sein wird, wie Menschen mit einer sich verändernden Medienwelt umgehen, d.h., wieviel Kompetenz sie im Umgang mit Texten und Nachrichten entwickeln.

Auch in Folge 2 zeigte sich, dass das Thema „Künstliche Intelligenz“ in entscheidenden Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens gerade (und wohl auch in nächster Zukunft) eine große Relevanz hat. Dies kam auch in den anschließenden Publikumsdiskussionen beim gemeinsamen Suppe-Essen zum Ausdruck.

Suppengespräche Staffel 3, Folge 1: Analoge Kunst und KI – Wann ist ein Text ein Text?

In Folge 1 mit dem Titel „Algorithmische Buchstabensuppe“ waren die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Clara Cosima Wolff und der Autor, Kritiker und Herausgeber Marco Sagurna zu Gast. Gemeinsam mit den Moderator*innen Kristin Heike und Kersten Flenter diskutierten die beiden über den Einsatz von KI-Systemen bzw. -tools in der literarischen Textproduktion.

Clara Cosima Wolff forscht als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Germanistik der Universität Hamburg zum Thema Poesie im digitalen Zeitalter. Hierbei geht es vor allem um Erscheinungs- und Publikationsformen von Lyrik außerhalb des Buches. Im Rahmen ihres Studium des literarischen Schreibens an der Universität Hildesheim arbeitete sie zuvor experimentell mit dem Einsatz von KI-Systemen (Eleuther AI und GPT-3), woraus ihr Buch „Algorithmische Affären und Binärcodebekenntnisse“ hervorging. Die darin enthaltenen Dialoge zwischen Autorin und KI bezeichnet sie in der Sendung als „Scheindialoge“ – zu konstatieren sei, so Clara Cosima Wolff, dass eine Künstliche Intelligenz nicht absichtsvoll bzw. zu einem bestimmten Zweck texte. Hinter der Produktion steckt kein Weltwissen; vielmehr entstehen KI-Texte durch das Erlernen bestehender Inhalte und Muster, sodass KI letztlich eine statistische Durchschnittssprache generiert.

Zum Einsatz von Tools wie (aktuell) ChatGPT zu Recherchezwecken weist Clara Cosima Wolff darauf hin, dass KI keine Fakten liefert, sondern Wahrscheinlichkeiten. Die ihr zur Verfügung stehenden Datensätze sind potenziell tendenziös; Mehrheitsdiskurse werden darin verstärkt.

Marco Sagurna hat den klassischen Werdegang als „analoger Dichter“ beschritten. Seit Universitätszeiten mit Lyrik beschäftigt, war er Gründer mehrerer Literaturzeitschriften und betätigt sich nach einer Karriere als Zeitungsredakteur vor allem als Herausgeber von Lyrik, u.a. der Anthologie „Der Osten leuchtet“. Gedichte, so Marco Sagurna, müssen irritieren. Als Herausgeber muss er darauf vertrauen, dass die ihm zur Verfügung gestellten Texte von Menschen erstellt wurden. Gerade im Genre der Lyrik ist der Einsatz von KI eher absurd, da in der Lyrik das spezifisch menschliche Empfinden seinen Ausdruck findet.

Beide Autor*innen trugen in der Sendung Kostproben ihrer Werke vor. Beim anschließenden Suppe-Essen gemeinsam mit dem Publikum entstanden anregende Diskussionen, die sich vor allem um die Zukunft des literarischen Schreibens und die Förderung von Nachwuchs drehten. Ale Beteiligten empfanden die Sendung und das Setting drumherum als gleichwohl unterhaltsam wie fruchtbar. Es zeigte sich, dass die angestrebte Sendedauer von 45 Minuten zur Diskussion zu kurz war; umso wertvoller erschien den Beteiligten die Möglichkeit, die Gespräche nach der Sendung noch fortzusetzen, wodurch Publikum die Möglichkeit hatte, unmittelbare Nähe zu den Protagonist*innen herzustellen.

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